Gergen – Erzählungen, moralische Identität und historisches Bewusstsein

Lesedauer: 4 Minuten

Erzählungen, moralische Identität und historisches Bewusstsein

I. Erzählungen

Kenneth J. Gergen (Wiki) versucht die Frage zu beantworten, wie Erzählungen unsere Vorstellung von Geschichte und Identität prägen. Mit Hilfe einer sozialkonstruktivistischen Perspektive wird die Rolle des historischen Bewusstseins bei der Ausbildung der moralischen Identität erläutert.

Erzählungen als Diskurs: Merkmale und Formen

Den Startpunkt für die Erzählperspektive bildet nicht der Geist, sondern die Erzählung. Betrachtet man die Merkmale einer guten Erzählung – auch wohlgeformte Geschichte genannt – wird schnell klar, was dieser Satz impliziert:

So benötigt eine Erzählung stets ein zu erklärendes Ereignis, welches einen Endpunkt bildet. Dieser Endpunkt kann nur innerhalb einer kulturellen Tradition identifiziert werden. Die erwähnten Ereignisse müssen im weiteren Endpunktbezogen sein. Die zeitliche Anordnung muss sinnvoll sein. Gergen spricht hier von einem kulturspezifischen Chronotop, welches den Sinngehalt bestimmt. Identitäten innerhalb der Erzählung müssen dauerhaft stabil oder wenigstens kohärent erscheinen. Um kausale Verknüpfungen zu erlauben soll jedes Ereignis ein Produkt des vorangegangenen sein. Dabei sind die allgemeinen Standards für Kausalität wieder Kulturspezifisch. Anfang und Ende dienen als klare Begrenzungszeichen.

Daraus ergeben sich Sinn und Bedeutung einer Erzählung.

Drei elementare Formen lassen sich durch die lineare Form der zeitlichen Verschiebung unterscheiden. Die Stabilitätserzählung beinhaltet Entwicklungen bezüglich des Resultats, welche die Entwicklungslinie nicht beeinflussen. Dagegen befördern bei der progressiven Erzählung diese das Ziel, es wird immer besser. Den Gegensatz dazu bildet die regressive Erzählung. Hier hemmen die Entwicklungen das Ziel und es geht stetig abwärts, verbunden mit einem Gefühl der Ohnmacht.

Die soziokulturelle Verortung des narrativen Diskurses

Was eine wohlgeformte Geschichte ist, ist jedoch starken Variationen unterworfen. So gibt es Dynamiken in der Form einer „richtigen“ Geschichte im historischen Verlauf, je nach kulturellem Kontext und Umfeld und sogar zwischen den Geschlechtern.

Narrative Wahrheit als kulturelle Übereinkunft

Erzählungen spiegeln somit nicht wirklich Wahrheit wieder, sondern immer subjektiv geteiltes Wissen. Die Welt an sich setzt keine Grenzen, keine Start- und Endpunkte. Die Bedingungen für Wahrheit sind kultureller Natur, also eine gemeinschaftliche Errungenschaft. Das Gefühl der Objektivität können wir nur im Kreise miteinander Übereinstimmender erfahren.

Erzählungen als eine Eigenschaft unserer Beziehungen

Damit Verbunden ist der soziale Nutzen von Erzählungen. Außerdem die Erkenntnis, dass Wahrheit auch durch die Form vermittelt wird und damit auch Rationalität.

So erlaubt es der Glaube an eine progressive Erzählung, an der man Teil hat, Opfer zu bringen. Regressive Erzählungen dagegen können auf einen zuvor angestrebten Weg zurückführen.

Erzählung und kulturelle Werte

Erzählungen prägen folglich kulturelle Werte und drücken diese gleichzeitig aus. Somit wird auch Veränderung ermöglicht. Der Akt des Erzählens an sich konstruiert jedoch bereits soziale Realität, nicht nur der Inhalt. So spielt es eine entscheidende Rolle, mit wem und in welchem Kontext Geschichten geteilt werden.

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