Was ist Techniksoziologie?
Der Technikbegriff ist in der Soziologie sehr vielschichtig. Da Technik einen immer größeren Teil unseres Lebens mitbestimmt, wächst auch der Bedarf an einer soziologischen Auseinandersetzung. Diese Durchdringung aller Lebensbereiche macht es gleichzeitig möglich, eine Vielzahl von Perspektiven auf Technik einzunehmen. Gerade deshalb ist es aber auch notwendig, die geeignete Perspektive für eine Fragestellung auszuwählen. Dabei hilft ein erster Überblick über Technik in der soziologischen Betrachtung und die Grundrichtungen der Techniksoziologie.
Technik: Eine Begriffsbestimmung
In der Soziologie ist es üblich, auf eine grobe Unterscheidung zwischen Technik im engeren und Technik im weiteren Sinne zurückzugreifen. Diese Trennung ist notwendig, da in den erweiterten Begriff auch Individualtechniken (z. B. Technik der Selbstbeherrschung), Sozialtechniken (z. B. Techniken des Regierens) oder Intellektualtechniken (z. B. Technik des Lesens) fallen. Realtechnik, als Eingriff in die nicht organische Natur, ist als Technik im engeren Sinn zu verstehen. Wenn in der Techniksoziologie von Technik die Rede ist, dann meistens in diesem Verständnis.
Realtechnik lässt sich weiter nach dem Aktivitätsniveau unterteilen. Als niedrigste Stufe der passiven Technologie gelten Werkzeuge. Aktive Techniken als nächste Stufe beinhalten Maschinen (z. B. Motoren). Reaktive Techniken bestehen aus kybernetischen Mechanismen, die es ermöglichen, Maschinen aufgrund von Sensorik zu steuern. Die folgenden zwei Kategorien fallen unter den Bereich der nichttrivialen Maschinen. Interaktive Techniken erarbeiten eine situationsadäquate Lösung in wechselseitiger Abstimmung. Dagegen erarbeiten transaktive Techniken als intelligente Systeme Ziel-Mittel-Relationen, die sie bezogen auf eigene Aktionen selbstständig reflektieren und verändern.
Triviale Maschinen sind ein deterministisches System mit einer immer gleichen Input-Output-Beziehung. Daher ist dieser stets vorhersagbar. Eine nicht-triviale Maschine dagegen setzt den Input in Verbindung mit einem Eigenzustand. Damit ist der Output nicht mehr vorhersagbar. Häußling kommt auf der Grundlage dieser Unterteilungen dazu, Technik im engeren Sinn als „planvolles Verfahren und/oder materielles Gebilde“ zu verstehen „um klar umgrenzbare Sachverhalte einer sachadäquat-systematischen Problemlösung zuzuführen.“ Technik ist damit ein Mittel um etwas spezifisches zu erreichen.
Warum sollte sich die Soziologie mit Technik befassen?
Zuerst gibt es einen wichtigen historischen Zusammenhang zwischen dem Aufkommen der Soziologie und technischem Fortschritt. So war die industrielle Revolution auch ein Grund für die Etablierung der Soziologie als eigenständige Wissenschaftsdisziplin. Technischer Fortschritt hat das Bürgertum gestärkt und die Frage nach einer darauf angepassten Gesellschaftsordnung aufgeworfen. Die Klassentheorie von Karl Marx orientiert sich deshalb an den materiellen Lebensbedingungen, welche auch durch Maschinen in Fabriken geprägt wurden. Im weiteren Fortgang der Zeit zeigt sich eine immer stärkere Implementierung von Technik in unseren Alltag. Diese hat zum einen eine Entlastung, zum anderen aber auch Abhängigkeit zur Folge. Eines der unzähligen Beispiele dafür ist etwa die Waschmaschine, die zwar die Arbeitsbelastung reduziert, dafür aber nicht nur ihr selbst, sondern auch der Elektrizität gegenüber Verbindlichkeiten schafft.
Welche Forschungsrichtungen gibt es?
Technologien enthalten immer eine Vielzahl von unabschätzbaren Folgen, die sowohl positiv als auch negativ ausfallen können. Hier spricht man von unintendierten Folgen. Ein besonderer Bereich der Soziologie konzentriert sich auf die Risiken von neuen Techniken: die Technikfolgenabschätzung. Diese Risiken können wie im Beispiel eines Atomkraftwerks mehrere Länder betreffen.
Wenn der Verwendungskontext von Technik im Vordergrund steht, kann behauptet werden, dass eine neu eingeführte Technik die gesellschaftlichen Folgen bestimmt. Hier spricht man von Technikdeterminismus. Gesellschaftlicher Wandel wird hier als durch Technik initiiert begriffen. Dagegen kann jedoch argumentiert werden, dass jede konkrete Technik von den Nutzern neu interpretiert und damit angeeignet wird. Es wird dabei auf die soziale Konstruiertheit von Technik verwiesen.
Neben dem Blick auf den Verwendungskontext ist somit auch der Herstellungskontext gesellschaftlich relevant. Diesem wird im Bereich der Technikgeneseforschung und der sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung Aufmerksamkeit gewidmet. Zwei Konzepte können dabei unterschieden werden: Die Demand-Pull-Theorie und die Technology-Push-Theorie. Der erste Ansatz sieht technische Innovation als Folge einer Nachfrage, die durch den Markt vermittelt wird. Der zweite Ansatz dagegen geht davon aus, dass diese Technologieentwicklung unabhängig von der Nachfrage geschieht. Nachfrage entsteht dann im Nachgang durch geschaffene Anwendungsmöglichkeiten. Da weder die Idee des Technikdeterminismus noch die der sozialen Konstruktion als alleinige Perspektive befriedigende Antworten liefert, gehen soziologische Erklärungen immer öfter dazu über eine Aushandlung zwischen beiden Positionen vorzunehmen.
Die Beschäftigung mit dem Herstellungskontext spielt auch bei der Perspektive der Pfadabhängigkeit eine entscheidende Rolle. Diese gründet auf der Idee, dass bei der Technikentwicklung die Durchsetzung einer Technik von einem Momentum abhängt. Ab diesem Zeitpunkt verläuft die Durchsetzung selbstständig. Deshalb ist dieser Ansatz in der Nähe des Technikdeterminus zu verorten.
Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) versucht im Gegensatz zu den bisherigen Ansätzen die Gesamtheit der gesellschaftlichen Prozesse bei der Entwicklung von Technik in den Blick zu bekommen. Entscheidend ist dabei die soziotechnische Konstellation, in die menschliche Handlungsvollzüge im Alltag eingebettet sind. So werden soziale Prozesse als unabgrenzbar von technischen Prozessen betracht.
Was ist Techniksoziologie?
Häußling kommt unter Einbeziehung dieser Ansätze zu folgender Definition von Techniksoziologie: „Die Techniksoziologie befasst sich mit den Wechselbezügen zwischen Realtechniken, Prozesstechniken und Technologien einerseits und Gesellschaft und Sozialem andererseits.“ Sowohl der Anwendungs- als auch der Herstellungskontext können dabei untersucht werden. Wobei der erste auf Aneignungsprozesse von Technik im Alltag abzielt und der zweite Aushandlungsprozesse während der Technologieentwicklung in den Vordergrund rückt. Eine eher ganzheitliche Perspektive bietet die soziologische Innovationsforschung die den Herstellungs- und den Anwendungsvorgang von Technik gleichermaßen berücksichtigt. Dies ist nötig, weil eine Innovation erst dann als Innovation gelten kann, wenn sie zum einen entwickelt und zum anderen erfolgreich am Markt eingeführt wurde.
Dieser Beitrag orientiert sich an dem Einleitungskapitel von Roger Häuslings (Link zu seiner Universitätsseite) Einführungswerk zur Techniksoziologie:
Häußling, R. (2014). Techniksoziologie. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 11-19. (Amazon)
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