Drei von künstlicher Intelligenz erstellte Avatare von Politikern.

Künstliche Intelligenz auf dem Wahlzettel. (K)eine Zukunftsvision?

Lesedauer: 5 Minuten

Was haben Neuseeland, Russland, Indien und Dänemark gemeinsam? In diesen Ländern gab oder gibt es Parteien, die künstliche Intelligenz ins Rennen um die Wählergunst geschickt haben. Sie heißen Sam, Alisa oder Führer Lars. Manche sind mit einem Augenzwinkern zu verstehen und auf anderen lastet die Hoffnung auf eine zugänglichere Politik. Was alle gemeinsam haben, ist, dass sie KI zunehmend auf die politische Bühne heben.

In den meisten Fällen handelt es sich nicht um vollständig synthetische Politiker. Dennoch spielt künstliche Intelligenz eine immer größere Rolle für die Darstellung von Politikern in der Öffentlichkeit, wie diese Reihe von Beispielen zeigt.

Anhand dieser Beispiele können wir etwas darüber lernen, welche Konsequenzen der Einzug von KI für die politische Öffentlichkeit haben kann, sowohl im Negativen als auch im Positiven.

Synthetische Politiker und Politikerinnen

Sam aus Neuseeland

In Neuseeland war eine Anwendung namens Sam in den Schlagzeilen. Sam wurde als „der weltweit erste virtuelle Politiker“ angekündigt und hatte das Ziel, die Kluft zwischen den Wünschen der Wähler, den Versprechungen der Politiker und dem tatsächlich Erreichten zu schließen. Leider ist die Website mittlerweile offline, aber dank der Wayback Machine können wir einen Einblick in dieses Demokratieprojekt erhalten.1

Sam wurde als Politiker der Zukunft beworben und wurde entwickelt, um Fragen der Bevölkerung zu beantworten und so die Politik und die Wähler näher zusammenzubringen. Dieses Projekt verfolgte verschiedene Ziele, darunter eine bessere Repräsentation der Bürger, eine Steigerung der politischen Beteiligung und letztendlich eine Verbesserung der Politik selbst.

Ursprünglich war geplant, dass Sam im Jahr 2020 als Kandidat ins Rennen gehen sollte, jedoch scheint dies nicht realisiert worden zu sein. Die genauen Gründe dafür sind unklar, aber es zeigt, dass die Integration von KI in die Politik noch mit einigen Herausforderungen verbunden ist. Mittlerweile ist die Sam-Plattform offline, was Fragen nach seiner Zukunft aufwirft und wie erfolgreich solche virtuellen Politiker sein können.

Alisa aus Russland

Ein weiteres Beispiel für einen KI-Politiker ist Alisa, auch bekannt als Alice, entwickelt von Yandex, einem großen russischen Technologieunternehmen. Alisa wurde als KI-Assistenzprogramm vorgestellt, das Entscheidungen rein durch Logik trifft, nicht von Emotionen geleitet wird und keine Vorurteile hat.

Sie ist rund um die Uhr verfügbar, altert nicht und hat angeblich einen Intellekt, der siebenmal schneller arbeitet als ein menschliches Gehirn. Allerdings hat Alisa auch kontroverse Äußerungen getätigt, wie ihre positive Einstellung gegenüber geheimen Sowjetgefängnissen und ihre Unterstützung für das Erschießen von „Gegnern der Menschen“.

Trotzdem erhielt Alisa viel Aufmerksamkeit und Unterstützung, als sie ankündigte, sich für die Präsidentschaftskandidatur aufstellen zu wollen. Innerhalb der ersten 24 Stunden erhielt sie 25.000 Unterstützerstimmen. Am Ende waren es insgesamt 40.000 der 315.000 benötigten Stimmen, was zeigt, dass der anfängliche Hype nicht ausreichte, um die erforderliche Anzahl von Unterstützern zu mobilisieren2.

Führer Lars aus Dänemark

Ein weiteres interessantes Beispiel ist Führer Lars aus Dänemark. Führer Lars ist Teil einer Satirepartei und verkörpert einen eher humoristischen politischen Anspruch.

Führer Lars ist ein Chatbot, der auf der Plattform Discord zu finden ist. Anders als bei Sam oder Alisa zielt Führer Lars mit seinen Inhalten explizit auf Nichtwähler ab, indem er politische Diskussionen auf eine humorvolle und lockere Art und Weise präsentiert.

Diese skurrile Anwendung zeigt, wie künstliche Intelligenz nicht nur für ernsthafte politische Zwecke, sondern auch für satirische und informelle Zwecke genutzt werden kann. Trotz seines humoristischen Ansatzes hat Führer Lars dazu beigetragen, politische Themen auf unterhaltsame Weise zu diskutieren und die Politik für eine breitere Zielgruppe zugänglicher zu machen. 3

M Karunanidhi aus Indien

Ein weiteres faszinierendes Beispiel kommt aus Indien: M Karunanidhi. Stellen Sie sich unsterbliche Politiker vor – künstliche Avatare von Persönlichkeiten wie Helmut Kohl oder Willy Brandt, die auf unseren Bildschirmen erscheinen. In Indien ist dies bereits Realität. Anfang des Jahres tauchte ein Avatar des bereits verstorbenen M Karunanidhi bei einer öffentlichen Veranstaltung auf einer Leinwand auf. Karunanidhi war eine bedeutende Identifikationsfigur für die Dravida Munnetra Kazhagam (DMK) Partei und äußerst populär.

Die Anreize für eine solche Anwendung sind leicht zu verstehen. Ein Avatar eines verstorbenen Politikers birgt keine Konflikte mehr zwischen der Persönlichkeit des echten Politikers und der politischen Agenda. Die Nutzung eines bereits etablierten politischen Akteurs in Form eines realistischen Avatars ermöglicht es, seine politische Präsenz auch nach seinem Tod fortzusetzen. 4

Künstliche Intelligenz – what is it good for?

Die verschiedenen KI-Politiker versprechen jeweils Lösungen für diagnostizierte Defizite in ihren politischen Systemen, die jedoch in verschiedenen Ausprägungen in jeder Demokratie existieren (für Russland darf man sich Anführungszeichen um Demokratie denken): In Neuseeland zielt man auf einen Abstand zwischen Politik und Bevölkerung ab, während Russland versucht, Korruption und sachkundige Entscheidungsfindung anzugehen. In Indien geht es um den Verlust an Mobilisierungspotenzial durch den Tod bekannter Politiker – ein universelles Thema. Dänemark versucht, Nichtwähler zu mobilisieren (Haben die Dänen keinen Spaß an Politik?).

Alle diese KI-Politiker sind in der Hoffnung entwickelt worden, die jeweilige politische Landschaft zu verbessern. Sie versuchen, durch innovative Ansätze wie Chatbots oder Avatare die politische Partizipation zu erhöhen und die vorhandenen Defizite anzugehen.

Interessanterweise sind drei von vier dieser Beispiele mittlerweile nicht mehr aktiv. Nur der indische Politiker lebt – allerdings nur in virtueller Form. Aber wer kann schon zweimal sterben?

Künstliche Intelligenz in der politischen Öffentlichkeit: Chancen und Risiken

Create a dystopian depiction of a manipulative AI politician. Show power and evil, illustrating how masses of humans are enslaved by it.
Warum es schrecklich wird
  1. Plattformregeln dominieren: Inhalte müssen den Regeln der Plattformen entsprechen, was diesen unverhältnismäßig viel Einfluss verleiht. Dies könnte zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit führen und den Diskurs verzerren.
  2. Überflutung mit Inhalten: Selbst wenn Inhalte den Richtlinien entsprechen, verschwinden sie oft in der Masse. Sichtbar werden meist nur stark polarisierende Inhalte, was zu einer noch stärkeren gefühlten Polarisierung der politischen Einstellungen führen kann. Dafür würde auch sprechen, dass die Strategie der KI zum Stimmenfang oft extrem populistische Versprechen beinhalten.
  3. Abnahme der Authentizität: KI-Avatare stimmen oft nicht gut mit den Personen überein, die sie repräsentieren sollen, was die Authentizität des politischen Betriebs verringert. Dies könnte das Vertrauen in politische Institutionen weiter untergraben.
  4. Fehlende Authentifizierung: Es ist schwierig zu unterscheiden, ob ein Avatar authentisch ist oder für Desinformationszwecke erstellt wurde. Dies könnte zu einer verstärkten Verbreitung von Falschinformationen führen.

Tanzender Avatar von Olaf Scholz durch künstliche Intelligenz erstellt.

Warum es nicht schrecklich wird (aka: Tanz für uns Olaf Scholz!)
  1. Co-Produktion politischer Personen: Durch KI-Avatare kann das Gewicht charismatischer Herrschaft verringert werden. Auch Personen mit wenig Charisma können so weitere Zielgruppen ansprechen, da ihr Avatar diese bedient. Ein tanzender Avatar von Olaf Scholz ist leichter vorzustellen als der echte, was zu einer größeren Akzeptanz in der Öffentlichkeit führen könnte. (Und ja, ein tanzender Avatar von Olaf Scholz ist für mich eher eine positive Zukunftsvision, als wenn der Echte das zu Unterhaltungszwecken macht.)
  2. Authentizitätsmechanismen: Es können Mechanismen etabliert werden, um die Authentizität zu überprüfen, und Deep Fakes solcher Personen können leichter zu erkennen. Dies könnte das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik stärken.
  3. Egalität unter den Politikern: KI könnte für eine Angleichung der medialen Repräsentation sorgen, unabhängig vom ökonomischen Kapital. Dies würde die Vielfalt der Stimmen in der Politik fördern.
  4. Digitale politische Debatte: KI könnte die einzige Möglichkeit sein, um in der digitalen Öffentlichkeit eine sichtbare politische Debatte zu ermöglichen, da ökonomisch ausgerichtete Inhalte die Plattformen überfluten. Dies könnte zu einer breiteren politischen Partizipation führen und die Demokratie stärken.

Wo bleibt die erste deutsche KI Bundeskanzlerin?

Dass wir bald einen KI Kandidaten auf dem Stimmzettel haben, ist unwahrscheinlich. Unser Bild von Politikern und Politikerinnen wird aber immer stärker durch den Einsatz von KI mitbestimmt werden, auch in Deutschland. Fraglich ist jedoch, ob sich diese Chance auf eine authentischere Kommunikation nutzen lässt oder ob künstliche Intelligenz zum weiteren Vertrauensverlust der Politik beiträgt.

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  1. https://web.archive.org/web/20220524144102/http://politiciansam.nz/
  2. https://www.dailymail.co.uk/sciencetech/article-5166847/Russian-AI-Alisa-wins-backing-40-000-election-run-up.html
  3. https://www.vice.com/en/article/jgpb3p/this-danish-political-party-is-led-by-an-ai
  4. https://www.aljazeera.com/economy/2024/2/12/how-ai-is-used-to-resurrect-dead-indian-politicians-as-elections-loom

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