Die Unvermeidlichkeitsrethorik der Datafizierung

Lesedauer: 4 Minuten

Datenerzeugung als latente Funktion

Die Prämisse des digitalen Kapitalismus: Daten existieren und können verwertet werden, um Gewinn zu machen. Ohne diese Selbstverständlichkeit der Datafizierung würden viele Geschäftsmodelle im digitalen Raum ihre Existenzgrundlage verlieren. Gerechtfertigt wird diese Überzeugung meistens mit einem simplen Narrativ: Der Kunde überlässt seine Daten und erhält dafür einen Mehrwert, meist in Form einer Plattform. Vieles von dem, was im Internet funktioniert, hat demnach nur entstehen können, weil im Hintergrund digitale Spuren konserviert und in ökonomisch verwertbare Vorhersagen verwandelt werden. Wirklich funktionsfähig ist diese Prämisse jedoch nur, weil sie im Hintergrund existiert und so für die Konsumentenseite nicht zur Verhandlung steht.

Für den Nutzer ergibt sich so eine neue Doppelfunktion des Handelns beim Nutzen von Onlineangeboten. Die Unterscheidung in latente und manifeste Funktionen ist an dieser Stelle nützlich, um Handlungsintentionen von Handlungskonsequenzen zu trennen.

Für den Nutzer ist die Verwendung des Dienstes die manifeste Funktion. Welche Funktion das ist, kann ganz verschieden sein. Das Spektrum reicht vom Einholen von Informationen über den sozialen Austausch bis hin zur politischen Kommunikation etc. Diese steht mit der Intention des Nutzers im Einklang und ist Teil der Wahrnehmung.

Die latente Funktion dagegen ist vom Nutzer nicht beabsichtigt, damit zusammenhängende Abläufe werden nicht wahrgenommen. Bestenfalls wird das Ergebnis manifest durch die Zuweisung bestimmter Angebote. Wie das konkrete Handeln jedoch damit in Verbindung steht, bleibt völlig unklar. Diese latente Funktion stellt die Funktionsweise des Geschäftsmodells des digitalen Kapitalismus sicher. Sie besteht im Hinterlassen von Daten, damit Plattformbetreiber Einnahmen generieren und gleichzeitig die Benutzeroberfläche so gestalten können, dass diese Daten anfallen und genutzt werden können.

Der Nutzer reproduziert so – ohne irgendeine Art der Wahrnehmung – die Strukturen, in denen er sich vorfindet. Das geschieht in der konkreten Praxis ohne die Möglichkeit, dieses Zustandekommen überhaupt erst zur Sichtbarkeit zu bringen. Trotzdem wirkt sich die latente Funktion auf die manifeste Funktion aus, indem Handlungsoptionen der Nutzer nur unter der Prämisse der Erzeugung von Daten geschaffen und dahingehend optimiert werden.

Ganz im Sinne einer Technokratie werden die Möglichkeiten der Verwertung und Generierung digitaler Spuren stetig ausgebaut. Natürlich nur auf der Grundlage der unausgesprochenen Prämisse, dass Daten existieren.

Die Rhetorik der Unvermeidlichkeit

Die Vorhandenheit von Daten ist jedoch keine Prämisse, zu der es keine Alternative geben kann, wenn es darum geht, die Digitalisierung zu gestalten. Alternativen zu denken kann sowohl dabei helfen zu verstehen, warum die Existenz von Daten eine Selbstverständlichkeit darstellt als auch dabei die Debatte um Privatsphäre mit einer neuen Perspektive zu betrachten. So wird klar, dass selbst der Kampf zwischen Datenschützern und Unternehmen, die auf die Verwertung personenbezogener Daten angewiesen sind, nur unter der Voraussetzung der Existenz von Daten geführt wird. Prinzipiell handelt es sich bei genauerer Betrachtung nur um die Frage des Umgangs mit und des Umfangs von Daten.

Es ist kein zwingender Zusammenhang, dass personalisierte Angebote die beste Möglichkeit für die Plattformen sind, um Personen auf den Plattformen zu halten. Die Überzeugung ist jedoch, dass das beste Match so gefunden wird, etwa von Nutzer und Anbieter von Werbung. Nur dadurch wird die Vorhandenheit von Daten zur notwendigen Selbstverständlichkeit. Ein digitaler Kunde ist nur so ein vorhersagbarer Kunde. Ein vorhersagbarer Kunde wird nur so zum vorhergesagten Kunden. Das impliziert die Grundannahme der Vorhandenheit von Daten.

Wenn es um den Widerspruch gegen ausufernde Datenerhebung und -nutzung geht, dann handelt es sich um ein Thema von permanenter Aktualität. Es gibt also scheinbar Einwände gegen die Erhebung von Daten. Das Thema der Privatheit wird sogar stetig relevanter. Das zeigt sich an Entwicklungen, die zur DSGVO geführt haben oder den Debatten um ePrivacy auf europäischer Ebene.

Was hier ganz deutlich zutage tritt, ist jedoch Folgendes: Die Richtung aus der die Existenz von Daten thematisiert wird, impliziert immer schon, dass diese selbstverständlich entstehen [1]. Die Existenz von Daten ist damit immer die Grundlage der Kritik von Daten mit Bezug auf die Privatsphäre. Das zeigt sich auch im Begriff des Datenschutzes: Schützenswert ist etwas nur dann, wenn es bereits besteht [2].

Die Unvermeidbarkeitsrethorik, die Shoshana Zuboff [3] zu recht erwähnt, besteht nicht darin, Alternativlosigkeit zu proklamieren, also für die Existenz von Daten zu sprechen. Ganz im Gegenteil wird die Unvermeidbarkeit dadurch Realität, dass die Selbstverständlichkeit genauso wenig Thema ist wie die Alternative. Die Rhetorik der Datafizierung ist deshalb genau genommen gar keine. Es ist viel eher die sprachliche Kunst konsequent auszublenden, dass die Möglichkeit der Generierung von Daten hinterfragt werden kann.

Dieser Mechanismus verstärkt sich selbst: Umso mehr sich das Internet durch die Erzeugung von Umsatz auf der Grundlage der Analyse von personenbezogenen Daten auszeichnet, umso mehr wird sie tatsächlich zur unhinterfragbaren Grundstruktur des digitalen und umso stärker wird der dadurch ausgeübte Sachzwang. Das gilt auch für damit zusammenhängende Argumentationsmuster: So lange Daten unhinterfragt generiert werden, gilt immer das Argument der Anonymisierung. Wer jedoch Anonymisierung sagt, der hat mindestens die Prämisse der Existenz von Daten bereits angenommen.

Fußnoten:

[1] Hier geht es nicht darum, wie darüber entschieden wird, was erhoben werden muss, damit eine Schlussfolgerung gezogen werden kann. Dieser Vorgang ist kein öffentlicher. Hierbei handelt es sich um Unternehmensentscheidungen bzw. in der Perspektive derjenigen, die erheben um rein technische Fragen.

[2] Um diese Debatte fruchtbarer zu machen und auch zwischen Digitalisierung und digitalem Kapitalismus trennen zu können, kann an dieser Stelle auf die Unterscheidung zwischen Daten und Metadaten hingewiesen werden.

[3] https://www.bpb.de/apuz/292337/surveillance-capitalism-ueberwachungskapitalismus

Weitere Essays zur Digitalisierung:

Die Steigerungslogik des digitalen Kapitalismus und seine fixierende Wirkung

Anthropomorphisierung von Algorithmen und reale Konsequenzen

 

Share and Enjoy !

Shares

Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*