Mentale Infrastrukturen – Symptome und Problemstellungen

Lesedauer: 3 Minuten

Symptome und Problemstellungen

Wie im ersten Teil beschrieben sind mentale Infrastrukturen Denkmuster, welche gewisse Lösungsstrategien nahelegen. Doch wie ist das Wachstum in die Köpfe der Menschen gelangt? Und welche Probleme sind damit verbunden? Auf diese Fragen soll der folgende Artikel Antworten liefern.

Wachstum als mentale Infrastruktur

Wachstum gilt als politisches Allheilmittel. Egal ob bei Arbeitslosigkeit, hoher Staatsverschuldung oder sozialer Ungleichheit, die Arznei heißt stets Wachstum.

Welzer schließt sich in seiner Diagnose Niko Paech an, wenn er feststellt, dass qualitatives Wachstum nur eine Ausrede darstellt, um keine Alternative zum Wachstum denken zu müssen. Es besteht die Illusion, man könnte innerhalb des Systems justieren und damit negative Umweltfolgen eliminieren. Was bei solchen Ansätzen gerne vergessen wird ist, dass sich die Außenwelt immer in die Innenwelt der Menschen übersetzt.

Die Umstellung auf ewiges Wachstum konnte erst mit der Befreiung der Wirtschaft von den biologischen Grenzen der Wertschöpfung entstehen.

Gegenwärtig steht Wachstum, gesellschaftliches ebenso wie persönliches, Synonym für soziale Teilhabe und die Reduktion sozialer Ungleichheit.

Aus Fremdzwang wird Selbstzwang

Dass der Mensch sich innerhalb seiner Gesellschaft durch eigene Anstrengung nach oben bewegen kann ist – historisch betrachtet – ein relativ neues Phänomen. Lange Zeit waren die Umstände der Geburt entscheidend dafür, wie jemand zu leben hatte. Eben diese Zunahme an Selbstbestimmung führt aber auch dazu, dass Zwänge die zuvor von Außen auf ein Individuum einwirkten nun selbstauferlegt werden. Das eigene Wohlergehen ist nicht mehr Abhängig von unkontrollierbaren Umständen, sondern vom eigenen Handeln und der Einpassung in das bestehende System.

Unendliches Wachstum

Die Folge dieser Selbstermächtigung ist, dass mit der Möglichkeit etwas zu vollbringen auch die Notwendigkeit dazu folgt. Um also festzustellen ein gelungenes Leben zu führen bedarf es gewisser Selbstvergewisserung und Selbstkontrolle. Nur so kann eine Verbesserung, ein Wachstum festgestellt werden.

Es folgt daraus also einerseits der permanente Wunsch nach eigener Bestätigung, aber gleichzeitig das unaufhörliche Streben danach sich weiter zu beweisen. Dies heißt auch unendlich zu produzieren und damit zu wachsen: Der Kern des ökonomischen Menschen.

Energie und Mobilität

Gleichzeitig geht damit eine veränderte Zeitwahrnehmung einher. Zum einen verlängert sich die Lebensspanne, wodurch eine Planung des Lebenslaufs erst möglich wird, und zum anderen beschleunigt sich die räumliche Mobilität. Durch die Wahrnehmung und Gestaltbarkeit der eigenen Lebensspanne folgt außerdem eine Loslösung aus der Generationenfolge. Das bedeutet eine stärkere Orientierung an dem eigenen Leben und damit einhergehend eine schwächere Orientierung am Wohlergehen folgender Generationen.

Die aufkommende Industrialisierung brachte gleichzeitig eine Veränderung der Sprachgewohnheiten mit sich. So wurde der Sprachgebrauch, gerade in den neuen Disziplinen, wie der Psychologie stark durch technische Begrifflichkeiten geprägt.

Durch das einführen der Schulpflicht wurde eine Institution geschaffen, welche dem aufkommenden Zwang zur Selbstoptimierung mit Rat und Tat zur Seite stand und immer noch steht. Das permanente Streben nach Leistungsnachweisen und nach in der Berufswelt verwertbarem Wissen ist der beste Beleg dafür.

Arbeit und Wachstum

Diese Veränderungen spiegeln sich am radikalsten in der Arbeitswelt wider. Der neue anthropologischen Leitbegriff des „opus“, des hervorbringenden Tun, kennzeichnet diese. Arbeit wird zu einer in sich unbegrenzten, endlosen Tätigkeit ohne im Produkt aufgehobenem Ziel. Arbeit dient nur noch dem Schöpfen von Werten.

Endlichkeit der Ressourcen und Tod

Das Ende der fossilen Brennstoffe beschreibt die Grenze der Idee des grenzenlosen Wachstums. Das kulturelle Tabu der Endlichkeit verbietet eine solche jedoch. Der Zwang zur permanenten Selbstoptimierung erlaubt ein solches Szenario nicht, da es nicht dem gesellschaftlichen Selbstverständnis entspricht.

Der globalisierte und flexibilisierte Mensch

Eine sich immer schneller wandelnde Welt führt auch dazu, dass von den Menschen immer mehr Flexibilität verlangt wird.  Das betrifft nicht nur steigende örtliche Mobilitätsanforderungen. Der Lebenslauf verändert sich immer mehr zu einer Aneinanderreihung von Stationen der Selbstoptimierung.

Dies geht einher mit Problemen der Identität. Was früher das Selbstverständnis einer Person geprägt hat dient heute nur noch als Lebensabschnitt, als Etappe auf dem Weg in eine bessere, noch zu definierende Zukunft.

 Konsumismus: Was Produkte über uns erzählen

In diese Identitätslücke tritt der Konsum. Die Konsumgesellschaft stiftet Sinn durch die Erweiterung der Identität durch Konsum. Verinnerlichter Konsumismus, wie beispielsweise Shopping als Hobby, kann die entstehende Leere kurzfristig füllen.

Doch dieses Identitätskonzept sieht sich wachsenden Problemen gegenüber. Diese sind in erster Linie ökologischer Natur. Die Erkenntnis, dass Konsum nicht zu einem langfristig glücklichen Leben führt ist dabei jedoch mindestens genauso wichtig.

 

Mit den Lösungsansätzen, welche aus dieser Zwickmühle aus Verdienst, Konsum und Selbstbestätigung führen beschäftigt sich der nächste Artikel.

 

Wenn Du mehr über Harald Welzer und seine Arbeit erfahren möchtest findest du hier seinen Wikipedia Eintrag und hier seinen Text zu den mentalen Infrastrukturen, welcher frei verfügbar ist.

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