Was bedeutet „Soziologische Theorie“?

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Was bedeutet „Soziologische Theorie“?

Wenn man in der Soziologie von Theorie spricht, dann bewegt man sich häufig auf unsicherem Terrain. Und das, obwohl die Grundlage einer jeden soziologischen Erklärung theoretisch fundiert ist. Der Grund für die Unklarheit des soziologischen Theoriebegriffs ist, dass er wirklich verschiedene Bedeutungen haben kann. Wenn eine Erklärung betrachtet wird, ist es deshalb wichtig sicherzustellen, dass das Verständnis von Theorie vorher geklärt ist. Oft entstehen Konflikte oder es kommt Kritik nur deshalb auf, weil kein gemeinsames Verständnis von Theorie besteht. Ein fruchtbarer Dialog kann daraus nicht entstehen, weil zum einen mehrere Bedeutungen gerechtfertigt sein können und zum anderen gar keine wirkliche Auseinandersetzung über soziologische Theorie an sich stattfindet.

Das Problem der Bedeutung

Was ist Theorie? ist neben Fragen wie Was ist eine gute Theorie? oder Wofür ist Theorie gut? standardmäßig in soziologischen Einführungswerken zu finden. Was dagegen nicht auftaucht, ist die Frage: Was meint Theorie? Der in dieser Frage beinhaltete Bezug zur Verwendung wird bei der Vermittlung von Theorie häufig nicht angedacht. Damit wird der Eindruck erweckt, dass verschiedenen Bedeutungen von Theorie nicht existieren.

Dabei hätte die Verständigung auf eine solche Perspektive eine Vielzahl von Vorteilen. So würde das gegenseitige Verständnis und die Kommunikation verbessert. Der Glaube daran, dass Theorie ein feststehender Begriff sei, der nur korrekt angewandt werden müsse, würde verhindert. Dafür würde die Kontextabhängigkeit des Begriffs an Stellenwert gewinnen. Auf die Lösung von inhaltlichen Problemen hätte eine solche Debatte keinen direkten Einfluss. Jedoch wäre es dadurch leichter, darüber zu sprechen.

Verschiedene Bedeutungen von Theorie

Um die Relevanz dieses Problems zu verdeutlichen, können sieben Perspektiven der Soziologie unterschieden werden. In diesen herrscht jeweils ein verschiedenes Verständnis von soziologischer Theorie:

  • Ein System logisch verbundener Annahmen über den Zusammenhang zwei oder mehrerer Variablen mit dem Ziel der Generalisierbarkeit.
  • Erklärung eines konkreten sozialen Phänomens.
  • Erklärung der Sinnstrukturen eines Phänomens: Was bedeutet es?
  • Erfassen und auslegen von Autoren, die eine Theorie erstellt haben.
  • Weltanschauungen: Also zugrunde liegende Perspektiven oder Grundannahmen.
  • Sozialtheorie: Die normative Vorstellung der Gesellschaft.
  • Erkenntnistheoretische Fragestellungen, die Probleme bei der Beobachtung soziologischer Gegenstände behandeln.

In jeder dieser Richtungen wird der Begriff Theorie absolut gesetzt und der Anspruch erhoben, die einzig wahre Bedeutung von Theorie zu verwenden. Gleichzeitig ist er für die anderen berechtigten Erkenntnisinteressen nicht gleichermaßen anwendbar.

Auflösung des semantischen Dilemmas

Wann immer man sich nicht sicher sein kann, was ein Begriff bedeutet, verliert die Sprache an Schärfe. Wissenschaftssprache hat jedoch so präzise wie möglich zu sein. Dessen müssen sich die Beteiligten bewusst sein, damit ein Austausch stattfinden kann. Um aus dieser Sackgasse zu entkommen, reicht es, wie bereits oben erwähnt, nicht die Frage danach zu stellen, was Theorie ist. Diese Antwort würde mit Bezug auf die Fragestellung immer verschieden ausfallen. Daher ist eine allgemeinere Definition des Begriffs auch keine adäquate Lösung. Der Versuch würde nur dazu führen, dass eine nichtssagende Definition entsteht.

Der bessere Ansatz wäre dagegen, die Semantik ernst zu nehmen und die Bedeutungen klar und sichtbar zu trennen. Diese Lösung würde auch der Tatsache Rechnung tragen, dass Theorie und Daten nur in Bezug gesetzt Bedeutung erlangen. Es würde der Abhängigkeit vom Gegenstand also Rechnung getragen. Der dazu nötige erste Schritt der Anerkennung der Vielseitigkeit des Begriffs erfährt jedoch Widerstand. So ist die Deutungshoheit mit Macht innerhalb der Disziplin verbunden. An dieser Deutungshoheit hängt auch der Kampf um Legitimität. Umso mehr Erfolg eine theoretische Strömung damit hat, den eigenen Ansatz als einzig wahre soziologische Theorie zu etablieren, umso positiver fällt das Ergebnis etwa bei der Erlangung von Forschungsmitteln aus. Dieser Interessenkonflikt kann auch in der Auseinandersetzung zwischen der deutschen Gesellschaft für Soziologie und der Akademie für Soziologie beobachtet werden. Dabei wäre die soziologische Sprache aufgrund ihres formalen Charakters problemlos dazu in der Lage, verschiedene Bedeutungen nebeneinander zu akzeptieren.

 

Wie ich bereits hier beschrieben habe, ist es auch im Bereich der soziologischen Theorie wichtig zu wissen, wovon die Rede ist. Es wird dadurch einmal mehr die Gegenstandsbezogenheit der Soziologie deutlich. Erst dann kann sowohl eine Erklärung als auch fruchtbare inhaltliche Kritik erfolgen.

 

Für diesen Artikel habe ich mich sowohl bei der Problemstellung als auch bei der Unterteilung der Theorieströmungen  an dem folgenden Beitrag von Gabriel Abend orientiert:

Abend, Gabriel, 2008: The Meaning of ‚Theory‘. Sociological Theory 26: 2: 173-199.

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