Die Steigerungslogik des digitalen Kapitalismus und seine fixierende Wirkung

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Die Steigerungslogik des digitalen Kapitalismus und seine fixierende Wirkung

Steigerungslogik

Die inhärente Steigerungslogik, die Oliver Nachtwey und Philipp Staab als Produktionsmodell des digitalen Kapitalismus bezeichnen, bietet einen plausiblen Ansatz zur Erklärung vieler Schachzüge der großen Player der Digitalisierung 1.
Unter dieser Perspektive wird etwa die geplante Einführung von Facebooks neuer Digitalwährung Libra zum konsequenten Schritt der Ausweitung des Ökosystems. Was, wenn jeder den gleichen Zugang zu einer Währung hätte, die stabil und sicher ist? Das fragt Facebook in dem kurzen Video, mit dem Libra angekündigt wird 2.

Als Infrastrukturanbieter einer Währung, die den Anspruch hat, global zu sein, ist der maximale Bezugsrahmen bereits klar. Ganz im Sinne der Steigerungslogik werden so alle Menschen zu potenziellen Nutzern. Ob Nationalstaaten diesem Vorhaben effektiv mehr als nur wörtlichen Protest entgegensetzen können, muss sich erst noch herausstellen. Klar ist jedenfalls, dass im Falle einer Realisierung der Zugriff auf Zahlungsdaten einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Datenmonopolisierung bedeutet. Dabei wäre vermutlich – wie bereits heute in vielen Fällen Realität – ein Facebookkonto gar nicht nötig, um zu diesem Monopol beizutragen 3.

Folgt man sowohl der Logik von Nachtwey und Staab, als auch der von Facebook selbst, dann ist schnell klar, dass die Nutzung der Währung und das Ausführen von Transaktionen mit bestenfalls vernachlässigbaren Gebühren belegt sein wird. Die Konsequenzen für Wettbewerber im Bereich des globalen Zahlungsverkehrs könnten dementsprechend fatal ausfallen.

Was sich anhand des – bisher noch hypothetischen – Beispiels zeigt, ist, dass sich der Trend zur Schließung bzw. Ausweitung der digitalen Ökosysteme unbeirrt fortsetzt. Dabei stellt selbst das Herausfordern staatlicher Monopole kein Hindernis dar. Natürlich handelt es sich dabei nicht um den ersten Versuch, das Währungsmonopol der Staaten infrage zu stellen. Man denke nur an die im Zuge der Finanzkrise 2008 erstarkten Kryptowährungen. Trotzdem ist es das erste Mal, dass eine bereits bestehende globalisierte Infrastruktur damit verknüpft wird.

Unter einer wirtschaftlichen Perspektive wirft dieses Szenario eine Vielfalt von Fragen auf, über deren Antwort nur spekuliert werden kann. Der Maßstab, der sich hier andeutet, lässt jedenfalls genügend Raum, um sowohl Untergangsszenarien, als auch Globalisierungsutopien zu entwerfen.

National lässt sich diese Herausforderung ohne Zensur kaum lösen und global ist keine Instanz in Sicht, die dazu imstande wäre.

Stabilisierung

Soziologisch ergibt sich aus dieser fortschreitenden Monopolisierung aber eine andere relevante Frage: Was bedeutet die zunehmende Bündelung der Nutzerdaten – was ja gleichzeitig auch den Aufenthalt im Ökosystem bedeutet – für die Lebensführung? Eine immer stärker zentralisierte Infrastruktur, auf der Nutzer immer mehr Zeit der Angebotsauswahl eines Anbieters ausgesetzt sind, wirkt sich auf die Lebensrealität zwangsweise aus. Die inhaltlichen Fragen außer Acht gelassen: Wenn das Internet zunehmend anhand immer weniger Plattformen genutzt wird, dann kann das zu einer Stabilisierung führen.

Doch wie soll Stabilisierung hier verstanden werden? Als Stabilisierung soll ein Vorgang beschrieben werden, der, sobald das digitale Abbild einer Person mit einer gewissen Menge an Daten verknüpft ist, das Handeln zu reproduzieren versucht.

Da das Geschäft mit den Daten eine zentrale Grundlage der Funktionsweise des digitalen Kapitalismus ist, handelt es sich auch um ein Geschäft mit der Zukunft. Es herrscht die geradezu fanatische Überzeugung, dass ein digitaler Kunde auch besser vorhersagbar ist. Was bei dieser Art von Prophetie leicht vergessen wird, ist: Ein vorhersagbarer Kunde wird gleichzeitig zum vorhergesagten Kunden. Wenigstens im Rahmen dessen, was Plattformen zur Verfügung stellen, bleibt für den Nutzer nur übrig, was ihm angeboten wird. Eine stärkere Bindung an eine Plattform bedeutet damit gleichzeitig, dass alternative Selektions- und Auswahlmechanismen für Inhalte weniger präsent werden. Dabei muss man gar nicht davon ausgehen, dass Nutzer mehr Zeit auf Facebook verbringen. Durch die Ausweitung des Ökosystems gilt die gleiche Selektionslogik wie auf Facebook auch auf allen zugehörigen Diensten. Am deutlichsten wird diese Eigenschaft anhand der von Google vermittelten Werbebanner. Diese verfolgen den Nutzer durch das Internet und zeigen Inhalte unabhängig von der aufgerufenen Website. Diese werden nach der gleichen Logik und auf der Grundlage der gleichen Daten präsentiert.

Techniken wie diese stellen die Nutzer vor vollendete Tatsachen. So wird der Entscheidungsspielraum der Nutzer auf eine neue Weise festgelegt. Dabei handelt es sich um eine Art von Macht 4. Zentralisiert sich diese Macht in der Art, wie es der Logik des digitalen Kapitalismus entspricht, dann stabilisiert sich der Raum des digital Möglichen zugleich. Die Vorhersage wird zwangsweise zur Zukunft, da alternative Handlungsverläufe weniger werden.

Wieder ungeachtet dessen, wie dieser Gestaltungsraum – aufgrund der ökonomischen Absichten – inhaltlich gefüllt wird: Die monopolistischen Strukturen schaffen einen gemeinsamen Bezugspunkt. Selbst dann, wenn er nur in der Selektionslogik besteht. Sollten sich diese Tendenzen realisieren, dann werden die Inhalte für den Unternehmenschef in Simbabwe mit denselben Analysemethoden bereitgestellt wie für den schwedischen Schüler.

Darin eine wirklich belastbare Grundlage für so etwas wie globale Gesellschaft zu vermuten, wäre selbstverständlich maßlos übertrieben, auch deshalb, weil die Stabilisierung innerhalb eines hochgradig individuell zugeschnittenen Musters stattfindet. Trotzdem handelt es sich um eine globale Angleichung in der Art der Verstetigung der Handlungsoptionen.

Vielleicht lässt sich diese Tendenz zur Verstetigung auch anders begreifen als aus der Perspektive der Kapitalismuskritik: etwa als Gegentendenz zur Postmoderne mit ihrer radikalen Pluralität und dem Verlust des Gemeinschaftsgefühls.

1. Nachtwey, Oliver & Staab, Philipp. (2018). Das Produktionsmodell des digitalen Kapitalismus.

2. https://youtu.be/ksxOdzLwPFk

3. Außerhalb von Facebook laufen gegenwärtig nicht nur die Daten von WhatsApp in den Pool von Facebook, sondern auch die Nutzerdaten vieler anderen Handyapps, da Facebook häufig als Dienstleister zur Auswertung von Nutzergewohnheiten in Apps eingesetzt wird.

4. Popitz, Heinrich. 1986. Phänomene der Macht: Autorität, Herrschaft, Gewalt, Technik. Tübingen: J.C.B. Mohr

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