Formen des Widerstands
Kritik an der Datafizierung, erscheint häufig als Prognose des Verlusts, die auf eine glorifizierte Vergangenheit verweist, oder als Dystopie, die dem naiven Technikdeterminismus verfallen ist1. Den Zukunftsbildern liegt oft so wenig Positives inne, dass man zu dem Schluss kommt: Besser die Uhr zurückdrehen und weg mit der digitalen Gefahr.
Diese im Gewand der Wissenschaft daherkommende Science-Fiction ist nicht nur als Unterhaltungsliteratur ungeeignet, sondern wirkt im schlimmsten Fall noch dabei, mit, das eigene Horrorszenario herbeizuschwadronieren, da keinerlei Gestaltungsoptionen zu existieren scheinen. Damit ist auch gleich das wichtigste über diese Art der Kritik gesagt: Selbstverständlich wirkt sie bei der Gestaltung der Zukunft mit. Jedoch so, dass das menschliche Zusammenleben nur noch Resultat der Umstände ist. Anreize zum bewussten Verändern des Zusammenlebens werden demnach nicht geboten, ganz im Gegenteil.
Dabei gibt es auch eine andere, bei all der Hysterie und Propheterie viel zu häufig aus dem Blickfeld verschwindende, subtilere Seite des Widerstands. Diese beiden Seiten unterscheidet die Perspektive auf die Einflussfähigkeit des Menschen bei der Gestaltung der Zukunft: Zukunft kann auch als Folge sinnhaften Handelns verstanden werden. Trotz oder gerade wegen der Verwendung von Technik kann es gelingen, Zusammenleben zu gestalten. Im Zentrum dieser zweiten Strömung stehen sowohl Vereine als auch in Kollektiven organisierte Journalisten. Weniger spektakulär, dafür umso wirkungsvoller wird das Neue mit Hilfe bewährter Mittel mitgestaltet. Drei Bereiche dieses Widerstands zielen auf Fragen Rechts, der Öffentlichkeit und der Praxis ab.
Nach dem Vorbild der American Civil Liberties Union (ACLU) und der Electronic Frontier Foundation (EFF) wurde 2015 die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegründet. Der gemeinnützige Verein unterstützt die Vorbereitung und begleitet strategisch relevante Gerichtsverfahren. Selbst erklärtes Ziel ist der Schutz der Grund- und Menschenrechte.2 Trotz des breit formulierten Anspruchs zeigt sich ein Muster: Vorgänge der Datafizierung werden auf bereits bestehender Gesetzesgrundlagen bezogen oder das Fehlen solcher aufgezeigt. Überwachung, Informationsfreiheit, Vorgänge in auf sozialen Medien oder Wissenschaftsfreiheit sind zentrale Handlungsfelder.
Einen noch konkreteren Zuschnitt hat die journalistische Plattform Netzpolitik.org: „Mit netzpolitik.org beschreiben wir, wie die Politik das Internet durch Regulierung verändert und wie das Netz Politik, Öffentlichkeiten und alles andere verändert“3. Diese Selbstbeschreibung realisiert sich in Hintergrundrecherchen der Funktionsweise von neuen Medienangeboten 4, der Dokumentation von Überwachungspraktiken 5 und praktischen Tipps zum Schutz privater Daten 6. Was auch hier zum Tragen kommt, ist das Verständnis für die Dynamik der Digitalisierung und die darin zum Ausdruck kommende Gestaltbarkeit.
Ähnlich versucht auch der Chaos Computer Club (CCC) auf die Gestaltung der Datafizierung einzuwirken, doch erneut mit einer anderen Schlagrichtung. Durch das Hacken 7 von technischen Geräten oder Abläufen – etwa Identifikationsverfahren 8 oder der Vorratsdatenspeicherung 9 – wird die im Hintergrund ablaufende und schwer nachvollziehbare Funktionsweise von Technik der Öffentlichkeit zugänglich. Der Anspruch „[…] soziale Auswirkungen technischer Entwicklungen anschaulich zu kommentieren“ 10, verbindet sich hier mit technischer Expertise. Neben der eigenen Kompetenz stellt der CCC auch Plattformen für die Verbreitung solchen Wissens – wie den Chaos Communication Congress mit 16.000 Besuchern 2018 und freier Zugänglichkeit aller Vorträge online – zur Verfügung.
Basis der Demokratisierung der Datafizierung
Soziologisch spannend ist an diesem exemplarisch geschilderten Feld die Frage, mit was wir es hier zu tun haben. Denn überraschend ist, dass digitale Formen der demokratischen Mitbestimmung zwar existieren (z. B. Hacktivismus) jedoch nicht im Zentrum der Aktivitäten stehen. Demnach ist der Glaube an eine digitale Praxis kein vereinendes Merkmal. Ganz im Gegenteil, häufig werden exakt diese kritisiert (z. B. Einsatz von Wahlcomputern). Digitale Technik wird also auf der Basis von Werten beurteilt, die Digitalisierung nicht zur Notwendigkeit erheben, sondern als Mittel zum Zweck begreifen lassen.
Diese Werte gilt es zu erklären, da sie das zentrale einende Merkmal sind. Es muss ein gemeinsamer Kontext oder eine gemeinsame Lage identifizierbar sein. Um es klar zu sagen: Was verbindet diese Menschen und warum? Dass es sich um Formen der Zugehörigkeit handelt, lässt sich leicht feststellen.
Obwohl es sich jeweils um eigene Formen des Widerstands handelt, sind diese aufeinander angewiesen, beziehen sich aufeinander und weisen personelle Überschneidungen auf. So schreibt Constanze Kurz (Sprecherin des CCC) für Netzpolitik.org Artikel und Ulf Buermeyer (Vorsitzender der GFF) hält Vorträge beim jährlichen Kongress des CCC. Das Zentrum der Organisationen scheint demnach die Hackerszene um den CCC zu sein, zu der ausgeprägte Verbindungen bestehen. Zurückzuführen ist das vermutlich auf den historischen Fakt, dass der CCC der älteste organisierte Zusammenschluss in diesem Bereich ist. Die aufgeführten Vereine bemühen sich sowohl um eine flache Hierarchie als auch darum, Strukturen für neue Mitglieder und Impulse offen zu halten. Ebenso wird bei der Vermittlung von Wissen ein großer Wert darauf gelegt, das nötige Vorwissen gering zu halten. Es existiert demnach ein Bewusstsein für den bestehenden Wissensvorsprung und ein glaubwürdiges Interesse daran, diesen nicht auszunutzen, sondern zu verringern.
Neben diesen strukturellen Merkmalen wird die inhaltliche Schlagrichtung von der Überzeugung der Gestaltbarkeit der digitalisierten Welt bestimmt. Grundlage dafür sind gesellschaftliche und menschliche Bedürfnisse. Dagegen wird wirtschaftlichen Interessen häufig mit Kritik begegnet, wenn diese Anreize bieten, diese Bedürfnisse zu verletzten, ohne jedoch kapitalismuskritische Fundamentalopposition zu sein. Die für „Computerfreaks“ früher übliche gesellschaftliche Sonderstellung scheint sich mittlerweile gelockert zu haben. Selbst wenn das Klischee häufig mit einem Augenzwinkern noch bedient wird, so ist die Führungsriege eher einem mittelständischen (Selbstständige / Unternehmensberater) oder akademischen (Projektleiter / Wissenschaftler) Berufsfeld zugehörig.
Der Anspruch einer radikal diversen und solidarischen Gesellschaft ist etwa durch den CCC mit dem Slogan All Creatures Welcome zum Selbstanspruch geworden. Technik soll zum Nutzen einer solchen diversen Gesellschaft gestaltet werden, um Solidarität in einer datafizierten Welt zu schaffen. Kritik an der Datafizierung soll dazu dienen, die Mündigkeit der Kunden bzw. Bürger sicherzustellen. Im Kern findet sich somit auch der Glaube an Vernunft, wie er in der Tradition der Aufklärung existiert. Demzufolge herrscht das Selbstverständnis einer kritischen Zivilgesellschaft, die sich mehr als bisher üblich auf technisches Verständnis beruft.
Alles das sind Anhaltspunkte, die einer Prüfung bedürfen, um zu verstehen, was diese Menschen verbindet. Alleine die Aufgabe, diesen Bereich zu bezeichnen oder wenigstens konzeptuell abzugrenzen, ist eine Herausforderung.
Um jedoch auf die am Anfang aufgeworfene Problematik des Technikdeterminismus zurückzukommen, sehen wir zwei verschiedene Arten des Widerstands gegen die Datafizierung. Um eine Analogie aus dem technischen Bereich zu verwenden:
Ähnlich verhält es sich auch mit dem Zusammenspiel verschiedener Rationalitässphären. Die technikdeterministische Haltung spaltet die Gesellschaft in diejenigen, die an dem Wandel aktiv mitwirken, und diejenigen, die sich dagegen nicht zu wehren vermögen. Aus dieser Perspektive gibt es keinen Anlass zur Kooperation. Versteht man die digitale Zukunft jedoch als gestaltbar, dann können diese scheinbaren Gegensätze miteinander in Kontakt gebracht werden. Das sehen wir auch in diesem Umfeld, wenn auf dem jährlichen Kongress des CCC neben hochkomplexen Fragen der Softwaregestaltung auch philosophische, soziologische, rechtliche, ökologische oder politische Themen mit Begeisterung diskutiert werden. Diese vereinende Wirkung kann nur dann entstehen, wenn es um mehr geht als nur die Wahl der Seite von welcher man den vermeintlichen Untergang betrachtet.
- Für beides ist die zweite Hälfte von Yuval Hararis Homo Deus ein Paradebeispiel.
- https://freiheitsrechte.org/strategische-klagen
- https://netzpolitik.org/ueber-uns
- Die Moderationsregeln bei Tik-Tok: https://netzpolitik.org/moderation-tiktok-informationskontrolle/
- Chronik des Überwachungsstaats: https://netzpolitik.org/2017/chronik-des-ueberwachungsstaates/
- https://netzpolitik.org/2018/kleines-einmaleins-der-digitalen-selbstverteidigung/
- https://www.ccc.de/de/hackerethik
- https://www.ccc.de/de/biometrie
- https://www.ccc.de/de/vorratsdatenspeicherung
- https://www.ccc.de/de/club
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